Surfen, Leben und ne Menge Waschgänge
Im Juni war es endlich wieder soweit – ab auf’s Brett und in die Wellen.
Wo? Atlantiküste Südfrankreich. Seit letztem November in Sri Lanka war ich nicht mehr surfen gewesen und habe mich daher einfach nur unglaublich darauf gefreut. Und was das Ganze noch viel geiler gemacht hat: Lexi und ich waren mit unserem eigenen Surf-Mobil unterwegs!
Wie unser Trip war, und wie ich das Surfen wieder von vorne lernen musste, das kannst Du demnächst in einem anderen Artikel lesen.
Über was ich in diesem Text schreiben möchte, sind vielmehr die Dinge des Lebens, die ich durch das Surfen ebenfalls wieder lernen musste.
Als wir das erste mal mit unseren neuen Brettern ins Wasser gingen, war ich bestimmt nicht in Bestform. Und damit meine ich nicht meine sportliche Verfassung.
Ich hatte mich kurz zuvor selbständig gemacht, was in mir eine Menge an Emotionen durcheinander gewirbelt hatte: Freude, Riesenfreude, Eifer, höllische Angst, unendliche Sorgen, Spannung, Zweifel, Unruhe, Antrieb … alles auf einmal. Und alles auf einem Fundament, das immer noch in dem Hamsterrad von „Nine-to-five“ steckte, mit dem Drang alles auf einmal zu erledigen, und das auch noch in absoluter Perfektion. Ich fühlte mich wie eine Zeitbombe, mit unvorhersehbarer Explosion, aus der entweder buntes Konfetti sprühte oder tagelang nur Tränen.
Der Urlaub war bitter nötig – um endlich runter zu kommen, um das neue Leben zu akzeptieren, und endlich zu genießen. Die Freiheit die ich mir so lange wünschte, endlich zu leben!
Ich dachte, klar, das mach ich jetzt einfach! Aber ich wollte das mal wieder mit dem Kopf machen. Ich dachte, wenn ich es „denke“, dann ist es auch so!
Nö.
Merkte ich ziemlich schnell, als wir dann das erste Mal mit unseren neuen Boards in die Wellen gingen.
Da ging bei mir nämlich nichts. Außer das Gedankenspektakel in meinem Kopf. Das sprudelte beinahe über und fuhr eine Welle nach der anderen – während ich noch nicht mal die Balance halten konnte.
Voller Anstrengung paddelte ich immer wieder rein, um einen neuen Versuch zu starten. Ich weiß doch wie es geht, ich MUSS es schaffen. Wenn ich bis heute um 16 Uhr nicht pünktlich eine Welle gefahren bin, dann muss ich wohl Überstunden machen, und der Kunde ist , äh, ich bin nicht zufrieden!
Völlig drin im Gefängnis der Arbeitswelt. Immer noch die alten Muster abarbeiten wollen, ohne abzuschalten. Beinahe hyperventilierend paddelte ich immer wieder raus – aber an diesem Tag schaffte ich nichts, und ich war einfach nur unglücklich und gab vor allem mir die Schuld daran. Ich war richtig sauer auf mich selbst.
Also ging ich in mich, und spürte nach, was das Surfen ausmacht, und was ich brauche, um mit Erfolg auf dem Brett stehen zu können.
Balance
Genauso wie auf meinem neuen Brett habe ich meine Balance in diesem neuen Alltag noch nicht gefunden. Das wurde mir dann klar. Aber Balance finden und halten kannst Du nicht theoretisch lernen – das musst Du austesten, herausfinden, machen. Wenn ich das nicht immer wieder probiere und meine persönliche beste Lage finde und fühle, dann wird das nichts.
Balance bedeutet für mich in diesem Fall auch, wie ich in Zukunft mein Leben gestalten möchte. Ist es etwa Balance für mich, mit 300 Prozent Konzentration stundenlang vor der Kiste zu hocken, um an Projekten zu arbeiten, die mich nicht erfüllen, und die kein Kribbeln in meinem Herz auslösen?
Durchatmen
Schon in Sri Lanka war das erste, was mein Surflehrer zu mir sagte (nachdem er merkte, das mir die imaginäre Bürostuhllehne immer noch den Nacken versteifte): „Breath in, breath out. Relax – and have fun!“
Ist leichter gesagt als getan – vor allem für die immer noch post-gestresste Büroangestellte mit Telefonklingel-Tinitus und Deadline-Phobie für die Atmen keine Entspannung darstellt sondern eher das verzweifelte Luft holen, um nicht zu ersticken.
Dennoch erinnerte ich mich an diese weisen Worte und machte sie zu meinem Credo für die nächste Surfsession.
Und es funktionierte. Ich konzentrierte mich auf mein Atmen, und hatte somit keine Zeit mehr über andere Dinge nachzudenken, die nichts mit der gegenwärtigen Situation zu tun hatten.
Fühlen
Der ewige Gedankenstrudel war damit abgestellt und ich konnte endlich eine Verbindung herstellen zwischen mir, dem Meer und dem Board. Und auch hier geht es nicht um Theorie die irgendwann mal gelernt worden ist, sondern um das reine Gefühl.
Da das Wetter sehr wechselhaft war, und damit auch das Meer, musste ich jeden Tag erneut ein Gefühl finden für die Wellen, Strömungen und Swells. Für mich hieß dass, abschätzen wo ich am besten rein gehe, versuchen raus zu paddeln, nur um dann zu merken, dass ich mich im Sog befand, und es nichts nutzte, hier noch weiter dagegen anzuschwimmen. Also einfach mit den nächsten Wellen wieder raus treiben lassen, ein paar hundert Meter am Strand entlang laufen, um einen besseren Einstieg zu finden.
Hört sich nervig an? Kann sein, aber darum geht es nicht.
Es geht darum ein „gutes Gefühl“ zu finden, für mich, mein Board und die Wellen. Wenn es sich nicht gut anfühlt, dann ist es nicht richtig und ich werde auch keine gute Session haben.
Genauso will ich es in Zukunft mit meinen beruflichen aber auch privaten Entscheidungen halten.
Relax
Als Surfanfänger habe ich es oft als stressig empfunden raus zu paddeln, dann in gefühlt Null-Komma-Nix das Board zu wenden, anzupaddeln und schnell aufzustehen – nur um mal wieder runterzufallen, oder gewaschen zu werden.
Aber Surfen sollte keinen Stress bedeuten. Was ich auf dem Wasser ebenfalls lernen musste: Nimm Dir Zeit! Ich muss nicht versuchen jede Welle, die ran rollt, zu surfen.
Ich wollte nach jedem Ritt immer so schnell wie möglich wieder rein paddeln und direkt die nächste Welle nehmen. Aber das ist anstrengend! Und schon nach kurzer Zeit hatte ich keine Puste mehr.
So ähnlich habe ich auch meine neue Freiberuflichkeit begonnen. Am liebsten hätte ich tausend Aufgaben und Projekte am Tag umgesetzt, habe an allem gleichzeitig gearbeitet – und am Ende nicht eine einzige Sache geschafft. Mir ging die Puste aus.
Es ist besser, einfach mal ein paar Wellen abzuwarten, in dieser Wartezeit Energie zu tanken, sich zu fokussieren, die Situation bewusst wahrzunehmen, und dann – wenn der richtige Zeitpunkt da ist – die Welle zu fahren, um dann mit dem fettesten Grinsen aller Zeiten voller Freude und Stolz am Strand zu stehen, und zu wissen, dass heute ein geiler Tag war!
Erwartungen runter schrauben
Und sollte das mal nicht so sein – dann war es trotzdem geil! Schließlich hab ich ne irre Sause mit dem Meer gehabt – selbst wenn ich nur gewaschen worden bin. Selbst dann fühle ich mich am Abend einfach saugut und weiß, dass ich mir die Müdigkeit verdient habe.
Nicht jeder Tag muss tausend Erfolgserlebnisse haben. Es ist ok, wenn es auch mal nicht so ist. Es ist ok, den Tag lang auch mal gar nichts zu machen. Es ist ok, sich Zeit zu nehmen. Es ist ok, ganz viele Fehler zu machen. Das Leben ist dann trotzdem herrlich, oder nicht?
Genießen
Genau! Egal ob ich jetzt schon wieder gewaschen worden bin, Muscheln mir die Füße aufschneiden, es manchmal so unglaublich schwer ist, nach einem anstrengenden Surftag noch den Neopren abzupellen, oder ob ich es endlich in eine grüne Welle geschaft habe und ich mich wie die geilste Sau der Welt fühle – ich will das genießen! Schließlich bin ich am Strand, ich liebe das Meer, ich mach den coolsten Sport der Welt, und ich find meinen Neo ziemlich geil.
Genieße alles!
Tatsächlich habe ich es erst nach diesem Urlaub geschafft, mein neues Leben etwas lockerer anzugehen, zu entspannen, und Projekte geordneter und fokussierter zu bearbeiten. Endlich kann ich meine Selbständigkeit genießen!
Und wow, das ist ein langer Text geworden! Hast Du echt bis hierher gelesen? Cool!
Wie wär’s dann mal mit Surfen? Es kann Dein Leben verändern.
PS: DANKE! An Lexi der mich am Anfang in die Wellen geschoben hat, der die absolute Entspannung in Person ist, der so viel Verständnis für meine stressigen Surfversuche hatte und der mich wieder daran erinnert hat, zu atmen!
Ich habe viele Jahre gebraucht, um die Sportarten für mich zu finden, die mir diese Erkenntnis immer wieder verdeutlichen: Yoga, Klettern und seit neuestem Windsurfen (ohne Segel hab ich noch nicht probiert). Atmung und Bewegung, das kann eine_n so runterfahren! Viel Spaß Dir weiterhin
Hi Melanie,
da sagste was! Versuchce auch gerade wieder „runter zu fahren“ und vielen Dingen nicht mehr so eine Wichtigkeit zukommen zu lassen. Kepp breathing! 🙂
LG, Jennifer